Ihr lieben Novembermenschen!

Möchte mich ein wenig zu Euch hinschreiben. Es ist einige Zeit vergangen seit dem letzten Mal. Habe mich gerade gefragt, welche Farbe dieser Monat wohl hat. Grau ist er nicht, eher braun, so wie diese Schriftfarbe sehe ich ihn etwa, den November.

Musikalisch gibt es nicht viel zu berichten. Zwei Tage im Studio aufgenommen, einen neuen Song geschrieben, ansonsten hält mich der Berufsalltag weiterhin von musikalischen Taten ab. Es wird wohl bis zum nächsten Herbst keine Paulson-Konzerte geben. Die Trauer darüber wird sich in gesunden Grenzen halten, schätz ich.

Sagt, bastelt Ihr auch immer ein wenig am Glück? Hofft Ihr auch noch, Euch und alles immer noch besser zu verstehen?  Euch so zu akzeptieren wie Ihr seid? Die Veränderungen, die andauernden Abschiede, die uns das Leben abverlangt?

Was das Verstehen anbelangt, so komme ich nicht recht weiter. Ich verstehe zwar, dass das Leben nichts anderes sein kann als meine eigene Geschichte, glaube aber doch, dass ich im Grunde nichts davon wirklich begriffen habe. Ich tu immer so wichtig und versteh doch so wenig… Nun gut, der selbsternannte Seelenschreiber will sich mal wieder ein wenig wichtig tun.

Auf dem Weg zum eigenen Begreifen ist das doch ein wenig wie am Eingang zu einer Höhle: Dort hängt eine 60-Watt-Glühbirne, und wir wollen losgehen, aber schon nach wenigen Metern tappen wir im Dunkeln, und vorbei ist es mit der Erkenntnissuche. So richtig reingeblickt hab ich bei meinen Seelenreisen also nicht in mein Inneres. An die dortigen Geheimnisse zu gelangen hieße ja eigentlich, auf eine Zeitreise in die eigene Kindheit zu gehen, um dann wieder mitten drin zu sein im vergangenen Leben, es anschauen und mit dem Verstand des Erwachsenen betrachten und womöglich verstehen zu können. Natürlich kann man auch versuchen, das längst Vergangene ganz ohne Verstand zu erspüren, aber es bleibt eben alles Spekulation. Warum einer  eifersüchtig, sprachlos oder aggressiv ist, zum Beispiel, man wüsste es gerne; weil das erwachsene Kindverhalten so vieles kompliziert macht; weil es das Paar- und das Berufsleben, das Zusammenleben aller Menschen, das Glücklichsein manchmal so schwierig macht. Wenn man allein betrachtet, wie häufig Kommunikation schlichtweg misslingt…nun, wenn alles verstanden und perfekt wäre, das wäre auch nicht mehr schön.  Und die gelungenen Momente eines Verstehens, einer überraschenden Begegnung, einer Sinnlichkeit, sie wären nicht halb so schön… und es gäbe womöglich nicht ein einziges meiner Lieder.

Betrachte ich mein Leben, so sehe ich vor allem Bilder und Kurzfilme, ein paar Gerüche sind dabei. Und an ihnen hängen Schilder mit Gefühlen: Glück, Freude, Schmerz, Abschied, Liebe, Verlust… Es gibt da aber auch Schilder mit Regeln, die besagen, was man besser unterlässt. Der Mensch ist ja ein lernfähiges Wesen???

Ja, die mächtigsten dieser Bilder zeigen Glücksmomente und die Gesichter von verlorenen Menschen. Bei mir sind das glücklicherweise meist freundliche Gesichter.

Das Verschwinden von wichtigen Menschen aus einem Leben – das sind wohl die einschneidendsten Verlusterfahrungen überhaupt.

Vor ziemlich genau drei Jahren verstarben kurz nacheinander – beide an Lungenkrebs – zwei geniale Musiker: Chris Jones und Chris Whitley. (Ihr könnt Euch auf you-tube.com Videos von den beiden anschauen, wenn Ihr einfach den Namen ins Suchfeld eingebt.  Chris und Chris…mit ihrem letzten Atemzug gingen auch die genialen Fähigkeiten der beiden. Wo diese geniale Energie wohl jetzt herumfliegt? Die Frage erscheint ebenso sinnlos wie faszinierend. Wie die aus dem neuen Buch von Roger Willemsen („Der Knacks“): „Wann wurde man nicht, was man hätte sein können?“ Oder  was haltet Ihr von der Frage, wieder von mir: „Wo war unsere Liebe, als wir einander noch nicht kannten?“ Dies Leben – ein einziges sich verändern, gewinnen, verlieren, neu finden. Wir nähren uns an den Lichtmomenten, und das ist gut so.

Und dennoch prägen die Verluste unsere Existenz. Die sorgenarme Kindheit, die verträumte Jugend, das idealistische Jungmenschsein – allesamt futsch. Und mag man den Jugend-Begriff auch noch so ausgedehnt begreifen, irgendwann realisiert auch der eigensinnigste H&M-Erwachsene, dass nicht nur die anderen sichtbar älter werden. Sonnige Gemüter ertragen das alles gelassener. Sie zu beneiden wäre allerdings Energieverschwendung, denn sie brauchen unsere Bestätigung gar nicht. Viel eher sollte man seine Gefühlskraft darauf verwenden zu verstehen, dass eigentlich alles gar nicht so tragisch und so wichtig ist, wie man immer tut. Das Problem dabei: Man hat ja nur sich, dies eine Leben, die eigene Welt. So wird es doch wohl sein, trotz aller erfindungsreichen Trostansagen. Und dennoch: Die Offenheit der Welt und die sinnlichen Momente mit anderen Menschen lösen diese Abgeschlossenheit, diese Einsamkeit ein wenig wieder auf.

Am schlimmsten sind die Verluste derjenigen Menschen, mit denen es uns gelungen ist zu verschmelzen. Denn dieser Verlust führt uns am schmerzhaftesten vor Augen, dass wir letztlich doch alleine sind auf dieser Welt. Hingeworfen aus dem Nichts in das Nichts. Ohne Sinn.  Oder auch so: Aus dem Nichts wird Etwas und dann wieder Nichts. Und dieses Etwas, das sind wir. Sinnlos eigentlich, verstehen zu wollen, wo doch alles nur vorübergehend ist,
auf dieser „road to nowhere“.

Zu heftig dies Thema, zu schwer? Well, bei mir ist das etwa so: Ich kann mit Trauer und Verlusten halbwegs positiv umgehen, einen öffentlichen Song draus schreiben, oder ein stilles Gedicht. Im Leiden liegt gewissermaßen eine Art Lust dies zu Verarbeiten. Ich habe mir oft die Frage gestellt, ob ich überhaupt ganz und gar glücklich sein möchte. Ob nicht im Unerfüllten, im Weitergehen, im Weg, das wahre Glück für mich liegt. Wobei manches so weh tut, dass daraus nichts als Trauer erwachsen will. Ratlos und allein sitze ich manchmal im großen  Seelenkino, warte auf den nächsten Film, und drehe dabei an dem runden Kleinen… an dem, was noch geblieben ist von der einen Großen…

Aber es gibt auch Verluste, die relativ einfach zu verschmerzen sind: George W. war ganz sicherlich ein solcher. Auch Pickel dürfen gerne wieder gehen, oder schlechte Angewohnheiten.

So, es ist jetzt kurz vor Mitternacht und das Glas Wein vor mir ist leer. Ich wünsche Euch und Obama alles Glück dieser Welt! Bleibt gesund und froh!

Euer Paulson  (November 2008)

P.S. Vom Ettenheimer Auftritt gibt es jetzt ein paar Bilder in der gallery.

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This entry was posted on Sonntag, November 9th, 2008 at 16:57 and is filed under 2008. You can follow any responses to this entry through the RSS 2.0 feed. Both comments and pings are currently closed.