2020

burg 110

schon bald nach ihrer geburt
stand sie klein und kraftlos
in der ganzen wucht
des maschinenzeitalters

die erbauer waren nicht mehr
und die nachfolger nahmen sie
als eine historistische kopie
achselzuckend zur kenntnis

 

pics & words: © paulson 

 

 

 

burg 109

schon bei ihrer vollendung
war sie als bild vom alten
nicht mehr erwünscht

sie schien im zeitgeist
der dynamischen moderne
schon wieder veraltet

heute würde man sagen
die mittelalterromantik
war da schon wieder out

 

pics & words: © paulson 

 

 

burg 108

mitten in die phase der umgestaltung
fast sämtlicher gesellschaftsbereiche
erschuf der romantische könig
ein zeichen des unvergänglichen
ein traumbild gegen den zeitgeist
maschineller sachlichkeit

 

pics & words: © paulson 

 

 

burg 107

wie sehr sich der sapiens
die erde untertan gemacht hatte
sah man in allen lebensbereichen

bald schon würden geisterbusse
die besucher nach oben bringen
ein maschinenritter würde sie dort
mit leuchtendem schwert empfangen
durch die heiligen hallen führen
und die ausgehungerten herzen
mit sagenhaften geschichten füttern
zum abschluss des burgbesuchs
würde es ein mittelalterkonzert
mit geklonten musikern geben
und der alte fritz würde dann noch
mit einer abgefahrenen 5d-animation
flötend von himmelwärts einschweben
um die beglückten zu verabschieden

 

pics & words: © paulson

 

 

burg 106

die wahren dinge im leben
waren dinge die keine dinge waren

zeit für sich musik und poesie
liebe freundschaft achtsamkeit
das meer der himmel die tiere
ein blick ein lächeln ein burgbesuch

 

pics & words: © paulson 

 

 

burg 104

die ganze welt war auf der suche
nach einem impfstoff gegen das virus

auch die burg war seit langem ein gegenmittel
wirkte entschleunigend gegen rastlosigkeit
eine seuche der so genannten modernen zeit

 

pics & words: © paulson

 

 

burg 103

wo es höhen gab
gab es auch tiefen

auf dem kegelberg
strebten die turmspitzen
himmlisch nach oben
wer auf dem burgboden blieb
konnte auch die abgründe
unter seinen füßen spüren

der mensch und alles
was er tat und schuf
war immer beides

 

pics & words: © paulson 

 

 

burg 102

es hatte sich schon lange abgezeichnet
dass die feudalen herrschaften
eines tages würden abdanken müssen

nach dem ersten höllenkrieg
und zwanzig millionen toten
war dieser tag dann gekommen
und das volk wurde zum souverän

die burg gehörte bald allen
was auch gut so war
schließlich hatte das volk
den prachtbau errichtet
im schweiße seines angesichts
und ohne angemessenen dank

wenn man so wollte
war die öffnung eine rückgabe

das betreten des märchenbaus
hätte durchaus kostenlos sein dürfen

 

pics & words: © paulson