News
burg 170
burg 169
wie ein riesenhafter stern
strahlte die fahne der preußen
zwischen den dunklen türmen
hinaus ins stille zollernland
es war in den winterwochen
der zwangsläufigen verinselung
als er hinaufschaute und glaubte
eine kleine gestalt wahrzunehmen
die sich von zeit zu zeit bewegte
dann schärfte sich sein blick
auf wundersame weise
und erzeugte ein bild
von unwirklicher klarheit
übergroß und zum greifen nah
stand dort ein gealterter prinz
mit ernstem gesicht und einem
glas schweren dunklen weines
an einem der vielen fenster
inmitten des in rot getauchten
mittelalterlichen prachtgemäuers
zum ersten mal überhaupt
war er mutterseelenallein
im nächtlichen palast
auf dem monte solaris
und zum allerersten mal
wurde ihm wirklich bewusst
wer er denn eigentlich war
und was er hätte sein können
wenn alles ein wenig später
oder anders gekommen wäre
und jener der emporschaute
ihn dort so stehen sah
und in ihn hineinblickte
stand seinerseits am fenster
grüßte hinauf zum einsamen
mit einem glas vom roten
mit ebenso ernstem gesicht
denn auch er sah nun erst
was er hätte sein können
was er hätte werden sollen
unter den anderen umständen
wenn alles anders geworden
oder wenn er ein wenig früher
auf diese welt gekommen wäre
dann
vollkommen unvermittelt
gerade als er im begriff war
den anderen anzusprechen
löschte jemand die beleuchtung
und sie verschwand in der nacht
der prinz aber stand noch
eine weile dort am fenster
und träumte gedankenverloren
hinunter auf die goldenen lichter
der kleinen schwäbischen stadt
dann erhob er sich schließlich
und ging durch den großen saal
seine schritte hallten noch nach
als er bereits verschwunden war
es war der 24.12.2020
pics & words: © paulson
burg 168
getrieben von uralten wünschen
stürmten die romantischen
zur adventszeit nach oben
damit das schöne sie ergreife
ein wenig innehalten
ein wenig träumen
ein wenig zauber
im jahr der seuche aber
blieben die tore geschlossen
da standen sie länger noch
da schauten sie sehnender noch
und hofften auf bessere zeiten
pics & words: © paulson
burg 167
burg 166
burg 165
burg 164
am ersten tag des dezembers
gleich nach der geisterstunde
kam der neue winter bebend
aus dem zollerngraben herauf
und rumpelte die schlafenden
aus den süßen traumlanden
er hatte das grummeln
schon wahrgenommen
bevor das schütteln kam
sein hölzerner adventsstern
vom regal herunterstürzte
und sich einen zacken brach
auch der schönen der nacht
war einmal vor vielen jahren
bei einem solchen geschehen
einer aus der corona gebrochen
er schaute hinüber zur lady in red
da sein herz sich wieder beruhigte
alles war gut
pics & words: © paulson
burg 163
burg 162
burg 160
burg 159
burg 158
burg 157
burg 156
burg 155
burg 154
burg 153
burg 152
burg 151
es gab da eine sehnsucht
nach den alten tagen
als männer noch männer
die welt noch ungerechter
ehre stolz und krieg
noch werte waren
die den menschen
gänsehaut machten
zugegeben hätten sie das nie
konnten sie auch gar nicht
ahnten es ja nicht einmal
so gut erzogen waren sie
erfreulicherweise
pics & words: © paulson
burg 150
burg 149
er erhöhte und verklärte sie
das war ihm wohl bewusst
aber hatte nicht jeder seinen mythos
die halbe menschheit glaubte doch
an ein göttliches wesen im himmel
an teufel engel und paradies
und fast alle hielten sie den sterblichen
also keinen geringeren als sich selber
für die krone der schöpfung
unzählig die geschichten und bilder
die sie zu allen zeiten erfanden
immens das verherrlichungspotenzial
unerschöpflich die einbildungskraft
alles erdenkliche wurde da angebetet
geister hexen autokraten
jede art von automaten
begehrenswerte sapiens
solche mit sehr viel potenz
ideen märchen und saphire
gärten ufos schmusetiere
dinge künste und die liebe
orte worte ballgeschiebe
körper lüste männerbrüste
schreine weine leberwürste
schräges und geheimes
großes und ganz kleines
wer wollte konnte es hören
das seelendröhnen so gewaltig
im gewimmel der milliarden
der mythos
war viel größer als der mensch
und das war gut so
was hätten sie auch tun sollen
in der langen träumezeit
bis zum wiederverschwinden
und so spielte und fabulierte er
halt eine weile mit der burg
pics & words: © paulson
burg 148
burg 147
burg 146
burg 145
burg 144
burg 143
burg 142
schön stand sie da
in der anbrechenden
schönen neuen welt
der technisierten zeit
was sie wohl sein würde
für die auf virtuellen schienen
laufenden neuen menschen
er hielt es für denkbar
dass sie sich auch dann noch
persönlich nach oben begaben
trotz alledem
pics & words: © paulson / music: youtube artists
burg 140
burg 139
burg 138
burg 137
burg 136
ein derzeit grassierender verschwörungsvirus besagte
dass die burg hohenzollern nur erbaut worden war
um einen teil potenzieller verschwörungsmenschen
mit fantasievollen königs- und kaisergeschichten
von noch abstruseren falschmeldungen fernzuhalten
dass dabei die reichsbürger-gesinnungsbrüder
und artverwandte sehnsüchtige entstehen würden
war den erbauern von damals nicht anzulasten
schließlich konnte man unmöglich alle absurditäten
dieser seltsamen tierart homo sapiens vorhersehen
auch die heutigen verantwortlichen der burg
waren davon überzeugt dass sie noch immer
ein gesellschaftlich bedeutsames projekt leiteten
denn ein teil der todgeweihten neige nun einmal
zu verzweiflungsvorstellungen und wirren taten
da sei es doch besser sie märchenhaft einzunebeln
lieber ein harmloser sinn als überhaupt keiner
dabei komme nur gefährlicher unsinn heraus
anmerkung
der noch viel dümmere sich wieder verbreitende unsinn
dass es sich beim prachtbau um ein ufomobil handele
welches dabei sei die invasion schwabens vorzubereiten
kann damit ad acta gelegt werden
warum sollte auch jemand schwaben erobern wollen
von der burg einmal abgesehen
pics & words: © paulson
burg 135
burg 134
burg 133
ungläubig schaute er auf die worte und bilder
unfassbarkeiten tag für tag – schon jahrelang
er schwankte zwischen mitleid verachtung und spott
manchmal war ihm buchstäblich übel geworden
nie hätte er einen wie den für möglich gehalten
das alles war weder ein sehr schlechter film
noch befand er sich in einem wirren traum
was sich hier abspielte war die wirklichkeit
amerika wurde von einem rüpel angeführt
wie er sonst nur in unrechtsstaaten vorkam
von einem bully wie er im buche stand
einem ungeheuer gewissenlosen manipulator
einem durchgeknallten totengräberknaben
einem empathielosen alphamännchen
das ungestraft seine horrorshow abzog
das gefährlich mit dem feuer spielte
und dann auch noch ständig öl hineingoss
dessen einzige meisterschaft darin bestand
in den disziplinen mobbing und narzissmus
weltumspannend konkurrenzlos zu sein
selbst übelste diktatoren wirkten harmlos
wenn sie neben diesem rambo standen
es war wirklich kaum zu glauben
aber in den von ihm geschätzten usa
regierte tatsächlich der nackte wahnsinn
in form einer überspannten goldlocke
die offenbar nicht mehr zu stoppen war
wie musste es um ein land stehen
das sich so einen präsidenten wählte
und wie furchtbar musste es sein
als aufrechter demokrat dort zu leben
oder war seine einschätzung zu streng
weil dieser bedauernswerte mensch
eine schlimme kindheit gehabt hatte
und früh auf die schiefe bahn geraten
und später nicht mehr in der lage war
dem triebhaften in ihm herr zu werden
aber selbst wenn es so gewesen wäre
wie konnte dann ausgerechnet so einer
der mächtigste mensch der welt werden
er würde ein freudenfeuer entfachen
wenn diese lichtgestalt der umnachteten
dieses aggressive monstrum von egomane
und lebende sinnbild für niedergang
dieses dauertrumpetende trumpeltier
und ganz offenbar vom teufel besessene
deutschstämmige gruselmännchen
wieder verschwunden sein würde
er hörte sich atmen
spürte wie sein puls raste
wie sehr er sich aufgeregt hatte
der schweiß stand ihm auf der stirn
und seine hände zitterten
als gehörten sie nicht zu ihm
er legte sie auf die heißen wangen
und schüttelte erschöpft den Kopf
um sich ein wenig abzukühlen
ging er hinaus auf die terrasse
schaute hinüber zur burg und spürte
wie langsam die wut einem zauber wich
so schön stand sie da im herbstlichen licht
er lächelte sie an als wäre sie seine geliebte
die ihn bei einer albernheit ertappt hatte
aber dann schlich sich gleich wieder
ein gedanke mitten in die freude
den er nicht mehr los wurde
mit einiger wahrscheinlichkeit
so kam es ihm in den sinn
wäre diese abstoßende person
ein großartiger burgherr geworden
womöglich sogar könig oder kaiser
er zog die schuhe an und rannte los
ein glück dass es draußen im wald
noch ein paar entlegene stellen gab
wo keiner sein schreien hörte
pics & words: © paulson
burg 132
von jenem mons solaris
dem alten zeugenberg am trauf
stammte die gruppe von menschen
die man gemeinhin als hohenzollern bezeichnete
und der ein eiserner wille zur macht zu eigen war
ein unbedingtes herrschenwollen
ein bedingungsloses sich behauptenmüssen
im ewig wiederkehrenden hauen und stechen
der miteinander konkurrierenden völker
um menschen territorien und naturschätze
was als preußische tugenden galt
meinte letztlich jene eigenschaften
welche zweifellos zu allen zeiten
bei allen anführern zu finden waren
die diesen willen zu macht und machterhalt
mit harter hand und unter größten opfern
durchzusetzten imstande waren
pics & words: © paulson
burg 131
burg 130
burg 129
burg 128
burg 127
burg 126
burg 125
burg 124
burg 123
burg 122
burg 121
burg 120
burg 119
dass dieser bezos die größte maschine
des globalisierten konsumkapitalismus
ausgerechnet nach dem artenreichsten
noch bestehenden ökosystem benannt hatte
war eine geschmacklosigkeit sondergleichen
ebenso hätte man den letzten deutschen kaiser
einen sozialistenfreund nennen können
oder die burg einen plattenbau
pics & words: © paulson
burg 118
burg 117
burg 116
burg 115
burg 114
die seelenlose digitalisierung
des gesamten planeten erde
stellte alle auf virtuelle schienen
über die sie von einigen wenigen
durch ihr leben geschickt wurden
die angeblich so genialen visionäre
aus dem kalifornischen silicon valley
waren viel eher datenmonopolisten
milliarden scheffelnde goldgräber
und machtmenschen vom schlage
eines doktor frankenstein x.0
denen es gelungen war
die homo sapiens kollektiv
in ein unsichtbares labyrinth
von einsen und nullen zu sperren
aus dem es kein entrinnen gab
in der menschheitsgeschichte hatte man
wohl noch keine rattenfänger gesehen
die es derart erfolgreich geschafft hatten
die jugend so vollständig einzusammeln
ins blendlicht von süßen verheißungen zu führen
wo diese sich einbildete king of the world zu sein
und für ihre zwecke in parallelwelten zu schließen
derart gewaltig waren die versprechungen
dass kaum einer sie noch in frage stellte
gegen das virus der künstlichen intelligenz
welches die datenautobahnüberholspurnerds
neuerdings in die welt gebracht hatten
kannte die natürliche intelligenz des sapiens
offenbar keinerlei gegenmittel mehr
so weit reichten die veränderungen
dass es schon bald unmöglich sein würde
zu sagen was eigentlich ein mensch sei
auch die vom burgberg übers land
gekommenen hohenzollern-hoheiten
waren machtmenschen gewesen
und hatten jahrhundertelang
die puppen mächtig tanzen lassen
nun aber
da sich die neue revolution vollzog
waren sie seit vielen jahren passé
nur der stammsitz stand als nachbau
noch märchenhaft und wohltuend analog
auf dem kegelberg am rande der alb
pics & words: © paulson
burg 113
burg 112
die alles vorwärtstreibende moral
ihres durchtechnisierten zeitalters
scheute den blick ins abgründige
wer einen burgbesuch wagte
konnte in beide richtungen blicken
außen lag das land vor einem
das offene das helle das weite
innen aber wartete das wesen
das tiefe das dunkle das alte
pics & words: © paulson
burg 111
burg 110
burg 109
burg 108
burg 107
wie sehr sich der sapiens
die erde untertan gemacht hatte
sah man in allen lebensbereichen
bald schon würden geisterbusse
die besucher nach oben bringen
ein maschinenritter würde sie dort
mit leuchtendem schwert empfangen
durch die heiligen hallen führen
und die ausgehungerten herzen
mit sagenhaften geschichten füttern
zum abschluss des burgbesuchs
würde es ein mittelalterkonzert
mit geklonten musikern geben
und der alte fritz würde dann noch
mit einer abgefahrenen 5d-animation
flötend von himmelwärts einschweben
um die beglückten zu verabschieden
pics & words: © paulson
burg 106
burg 105
burg 104
burg 103
burg 102
es hatte sich schon lange abgezeichnet
dass die feudalen herrschaften
eines tages würden abdanken müssen
nach dem ersten höllenkrieg
und zwanzig millionen toten
war dieser tag dann gekommen
und das volk wurde zum souverän
die burg gehörte bald allen
was auch gut so war
schließlich hatte das volk
den prachtbau errichtet
im schweiße seines angesichts
und ohne angemessenen dank
wenn man so wollte
war die öffnung eine rückgabe
das betreten des märchenbaus
hätte durchaus kostenlos sein dürfen
pics & words: © paulson
burg 101
burg 100
burg 99
burg 98
burg 96
die in der aufklärung
vom metaphysischen trost befreiten
waren dennoch immer auf der suche
nach dem unvernünftigen
weil menschsein mehr war
als reine berechenbarkeit
das erfuhren sie doch tagtäglich
im fürchten im sehnen im lieben
es war gewiss nicht der verstand
der sie hier auf den berg brachte
pics & words: © paulson
burg 95
burg 94
die menschen passten alles
ihren erwartungen und vorstellungen an
und fanden so ihre jeweils eigene burg
wenn sie bei den führungen
genaue beschreibungen erhielten
verstand jeder etwas anderes
wenn sie nach dem besuch
über das erlebte sprachen
meinten sie grundverschiedenes
und selbst auf den fotografien
die sie von ihr gemacht hatten
sahen sie nie dasselbe bild
pics & words: © paulson
burg 93
burg 92
burg 91
burg 90
burg 89
burg 88
burg 87
burg 86
es war ihm zu ohren gekommen
es gäbe da auf der burg geheime winkel
die offenbar noch nicht digitalisiert
und von big google kartiert worden waren
wenn es so etwas tatsächlich noch gab
dann – so beschloss er eines schönen tages
würde er alles mögliche dafür tun
diese geheimen winkel zu entdecken
natürlich würde er – sollte er sie aufspüren
keinem menschen das geheimnis verraten
er plante sich abends einschließen zu lassen
um in der nacht auf die suche zu gehen
sollte er tatsächlich fündig werden
würde er sich himmlisch frei fühlen
und unendlich glücklich sein
dort in seinem toten winkel
still und mit schlagendem herzen
in einer welt jenseits der zahlen
pics & words: © paulson
burg 85
burg 84
in krisenzeiten führten sie vor
wie wichtig es war burgen zu bauen
wenn gefahren am horizont auftauchten
wurden die so selbstbestimmten
zum spielball der eigenen biologie
die freiheit schlug sich in die büsche
die vernunft war über alle berge
und der verstand wurde zum werkzeug
fürs nackte überleben
pics & words: © paulson
burg 83
manche fortschrittliche
hielten die besucher
für vergangenheitsselige
was sie im grunde auch waren
aber nicht im sinne von ewiggestrigen
sie kamen vielmehr auf dem berg zur ruhe
dort in der nähe eines uralten geheimnisses
für welches die in die zukunft eilenden
keine sensoren besaßen
pics & words: © paulson
burg 82
burg 81
burg 80
burg 79
burg 78
burg 77
burg 76
burg 75
burg 74
burg 73
es waren sonnige und kalte ostwindtage
im märz des jahres zweitausendundzwanzig
als sie verlassen und verwunschen schön
unter dem tiefblauen himmel stand
in der ernsten ruhe vor dem sturm
der ihnen vorhergesagt worden war
als rasche verbreitung einer pandemie
und keiner wusste was da kommen würde
pics & words: © paulson
burg 72
burg 71
stillhalten zu müssen
war eine gewaltige aufgabe
für den sapiens perpetuum mobilis
in den lockdown corona times
einer versuchte es allen ernstes
mit einem ironman triathlon
in den eigenen vier wänden
unnötig eigentlich zu erwähnen
dass er die quälerei lustvoll durchstand
aus solch hartem holz waren wohl auch
die vom burgberg stammenden preußischen anführer
sonst hätten sie sich nicht so lange dort oben gehalten
da wird wieder der horror vacui am werk gewesen sein
die angst vor dem bedeutungsverlust eigener größe
schlimmer noch – vor dem ende des eigenen seins
stillhalten – das konnte die burg am allerbesten
sogar noch besser als ein baum
und das wollte was heißen
pics & words: © paulson
burg 70
burg 69
burg 68
in den zeiten der pandemie war bestens zu beobachten
wie sich die idee von solidarität sofort in luft auflöste
wie sich staaten reflexartig in bollwerke verwandelten
fremde wurden dann als viren betrachtet
tief aus dem inneren kam da die botschaft
dass es eine frage des überlebens sei
weil das leben eine sache des sterbens war
in den guten zeiten hatten sie das glatt vergessen
pics & words: © paulson
burg 67
als die krone der schöpfung
noch drei ewigkeiten lang
in der ursuppe schwamm
und der erweckung harrte
da gab es schon den berg
wo der erwählte stamm
millionen mütter später
seine reise begann
sie rockten die geschicke
wie keine andere sippe
und vergingen dann
einfach so irgendwann
die feste aber stand
noch eine weile im land
bevor auch sie und alles
für immer verschwand
pics & words: © paulson
burg 66
burg 65
burg 64
burg 63
burg 62
es gab da eine sehnsucht
der im komplexen gefangenen
nach dem überschaubaren
diese einfachheit fanden sie
in einem bild von einst
die burg dort auf dem berg
erzeugte eine ergriffenheit
die gefühl und halt vermittelte
scheinbar befand sich im fundus
des kollektiven gedächtnisses
auch der mythus einer burg
burg berg erhabenheit
der zusammenhang war primitiv
und eben deshalb so mächtig
pics & words: © paulson
burg 61
burg 60
das zeitalter der burgen
war gewiss keine fabelwelt
eher das genaue gegenteil
die menschen froren
hatten angst vor feinden
und starben in den dreißigern
es gab noch kein smart home
nicht einmal das smart phone
und dennoch wurde dieses schlimme leben
von den nachgeborenen nachhaltig verklärt
möglicherweise lag es ja daran
dass die durch den tag gehetzten
die alten um die langeweile beneideten
um die stille und die dunkelheit
um das summen der fluginsekten
und den tiefblauen himmel über ihnen
pics & words: © paulson
burg 59
auf der suche nach dem seelenheil
findet der mensch die mystik
im gefühlsraum des sterblichen
kommt es dabei zu allerlei erleuchtungen
immer wieder mit von der partie
ist auch die sagenhafte erzählung
von der heilenden wiederkehr des alten
auf einer corona-demo forderte neulich
ein gar nicht mal so betagter mensch
lautstark und halb flehend die rückkehr
des deutschen kaisers als ablösung
für die brd und das verbrecherpack
georg friedrich von preußen daselbst
solle doch bitte den thron besteigen
man möchte den armen mann
einen burgbesuch verschreiben
zu einem zeitpunkt da sein thronfolger
wenigstens hin und wieder den berg besteigt
dann weht die preußenfahne heilsam
über dem gebeutelten teutschen land
und für eine kurze zeit wenigstens
ist dann wieder alles gut
pics & words: © paulson
burg 58
burg 57
burg 56
burg 55
burg 54
dornröschenschlaf
ein wenig war es wie im märchen
als hätte einer alles ausgeknipst
der entmachtete prinz von preußen
wollte gerade seine sophie küssen
als alles stehen blieb
der flaschnermeister verharrte
kurz unterhalb der dachrinne
während sein senior die leiter hielt
und die oberste burgangestellte
kam auf dem weg zu einer besorgung
hinter der dritten serpentine zum stillstand
natürlich hofften nun alle
auf den erlösenden prinzenkuss
blöd nur dass der selber dumm rumstand
pics & words: © paulson
burg 53
wie sie so stand im coronafrühling
am morgen im mai im frischen grün
da fiel ihm wieder ein
was die burgverwalterin
einmal gesagt hatte
sie trage jeden tag ein neues kleid
sei anmutig wie eine schöne frau
so in der art
tatsächlich war sie atemberaubend
anmutig und wunderschön
und wie jede schöne frau
war sie botin zwischen erde und himmel
pics & words: © paulson / music: youtube artists
Burg 52
burg 51
burg 50
burg 49
burg 48
burg 47
burg 46
burg 45
burg 44
burg 43
burg 42
burg 41
burg 40
burg 39
es war ein abwarten
ein stillhalten
ein fortbleiben
es war wie ein träumen
am hellichten tag
und dann auch noch sie
so traulich verwunschen
mit türmen so vielen
die himmelwärts wuchsen
wo sterbliche fuhren
auf seltsamen bahnen
die seele zu suchen
da war so viel friede
da war keine wut
da war keine furcht
und alles war gut
pics & words: © paulson
burg 37
wer im nahbereich herumtüftelte
und dafür war der schwabe berühmt
der übersah manchmal das erhabene
die schwäbin neigte da schon
eine spur mehr zum sentimentalen
zuweilen konnte man sie gar
bei einer sternschnuppennacht
im burghof beobachten
was sie sich so wünschte
und was sie so dachte
beim anblick der schnuppe
war ihr schönstes geheimnis
und ging keinen was an
pics & words: © paulson
burg 36
burg 35
burg 34
burg 33
burg 32
burg 31
burg 30
burg 29
sommertag im april
das land im coronagriff
die leute lernen anstehen
einer nach dem anderen
immer ordentlich abstand
und schön die klappe halten
die bäckereifachverkäuferin
holt und hält die backsachen
mit gummihandschuhcoronafingern
und fasst damit auch die münzen an
oben am waldrand sperre
eichenprozessionsspinner
weiter vorne tollwutgefahr
die pistazienverpackung warnt
kann spuren von erdnüssen enthalten
erstickungstod durch allergieschock
außerdem im angebot
schweinepest-überfall
tödlicher zeckenbiss
vulkanausbruch erdbeben
tsunami flugzeugabsturz
atomkrieg meteoriteneinschlag
ich sehe wie sich meine hand
an der pistazientüte festkrallt
versuche mich zu entspannen
was mir aber nicht gelingt
dabei weiß ich doch schon lange
das leben ist eines der gefährlichsten
immerhin steht der albtrauf
noch harmlos im mittagslicht
und die burg prachtet herüber
als wäre alles paletti
dann entkrampft sich die hand
und ich sage
du bist die schönste im ganzen land
pics & words: © paulson
burg 28
einmal war ein neuer historikerstreit ausgebrochen
die hohenzollern forderten alten besitz zurück
und so mancher im volk tobte vor empörung
doch die meisten blieben gleichgültig
steckten tief in arbeit spiel und sorge
ob der kronprinz wilhelm dem braunen terror
nun vorschub geleistet hatte oder nicht
dazu lagen vier gutachten auf dem tisch
von denen zwei die frage mit einem ja
die beiden anderen mit nein beantworteten
man konnte es sich aussuchen
und hatte auf jeden fall recht
wobei es bei der sache
mehr um moral ging
indes ruhte der stammsitz
unbeeindruckt luftig und schön
auf dem uralten zeugenberg
und dachte sich seinen teil
geschichte war ganz schön kompliziert
sie zu verstehen gar nicht einfach
da war es doch dankbarer
einfach nur ein teil davon zu sein
pics & words: © paulson
burg 27
burg 26
burg 25
burg 24
burg 23
burg 22
burg 21
burg 20
burg 19
burg 18
burg 17
eine göttliche stille lag über dem land
der himmel gehörte seit langem
mal wieder den vögeln
ab und zu rollte ein auto
über die verlassene dorfstraße
und drüben auf der vierspurigen
brummte ein klopapierlastkraftwagen
den geplünderten regalen entgegen
er genoss die dornröschenschlafstille
es war ihm feierlich zumute
wie früher an heiligabend
endlich hatten die menschen
wieder einmal zeit füreinander
und für jenes das sie tun wollten
aber immerzu verschieben mussten
weil sie dafür keine muße fanden
die allermeisten von ihnen
waren in der plötzlichen ruhe
aber einfach nur erschlagen
fuhren runter und warteten ab
doch der frieden war trügerisch
die lage war ernst
das virus hatte binnen tagen
fast das gesamte land lahmgelegt
zwangsentschleunigung
und hausquarantäne für jene
die nicht in systemkritischen
bereichen gebraucht wurden
die meisten kooperierten
und nur noch wenige glaubten
es könnte alles so bleiben wie immer
vieles von dem was freude bereitete
war nun entweder verboten
oder fand nicht mehr statt
die medien berichteten pausenlos
und selbst die nachrichtenprofis
sprachen mit besorgten gesichtern
im netz nervten die üblichen schaumschläger
mit ihren abstrusen lügengeschichten
und die zynischen apokalyptiker aller länder
befanden sich im dauerglückstaumel
während sich andere bis zum umfallen
für die gemeinschaft aufopferten
aus sporthallen wurden notkliniken
textilfirmen produzierten schutzkleidung
die menschen hielten zusammen
wie sonst nur in kriegszeiten
solidarität und menschlichkeit
waren nun die zauberformeln
gegen den unsichtbaren feind
während sich die einzelnen mitglieder
der europäischen nationalstaaten-union
in abschottung übten und alles bunkerten
was in der krise von nutzen sein konnte
klimawandel tier- und naturzerstörung
flüchtlingskrisen und fremdenwahn
sie waren jetzt keine themen mehr
überhaupt schien all das
was vorher wichtig war
vollkommen bedeutungslos
das virus angst hatte nun alle befallen
ganz europa befand sich im stillstand
und bald würde es die ganze welt sein
auch die burg hatte ihre tore geschlossen
heiligabend war der einzige tag im jahr
an dem sie zu hatte
normalerweise
und nun das
fünf wochen
vorerst
mit großen augen stand er am fenster
und langsam wurde es abend
dann verschwand sie in der nacht
aber am nächsten morgen
würde sie wieder da sein
schön wie immer
auf ihrem berg
dem mons solaris
für ihn und alle
pics & words: © paulson