burg 17

eine göttliche stille lag über dem land
der himmel gehörte seit langem
mal wieder den vögeln
ab und zu rollte ein auto
über die verlassene dorfstraße
und drüben auf der vierspurigen
brummte ein klopapierlastkraftwagen
den geplünderten regalen entgegen

er genoss die dornröschenschlafstille
es war ihm feierlich zumute
wie früher an heiligabend
endlich hatten die menschen
wieder einmal zeit füreinander
und für jenes das sie tun wollten
aber immerzu verschieben mussten
weil sie dafür keine muße fanden
die allermeisten von ihnen
waren in der plötzlichen ruhe
aber einfach nur erschlagen
fuhren runter und warteten ab

doch der frieden war trügerisch
die lage war ernst
das virus hatte binnen tagen
fast das gesamte land lahmgelegt
zwangsentschleunigung
und hausquarantäne für jene
die nicht in systemkritischen
bereichen gebraucht wurden
die meisten kooperierten
und nur noch wenige glaubten
es könnte alles so bleiben wie immer
vieles von dem was freude bereitete
war nun entweder verboten
oder fand nicht mehr statt
die medien berichteten pausenlos
und selbst die nachrichtenprofis
sprachen mit besorgten gesichtern

im netz nervten die üblichen schaumschläger
mit ihren abstrusen lügengeschichten
und die zynischen apokalyptiker aller länder
befanden sich im dauerglückstaumel
während sich andere bis zum umfallen
für die gemeinschaft aufopferten
aus sporthallen wurden notkliniken
textilfirmen produzierten schutzkleidung
die menschen hielten zusammen
wie sonst nur in kriegszeiten

solidarität und menschlichkeit
waren nun die zauberformeln
gegen den unsichtbaren feind

während sich die einzelnen mitglieder
der europäischen nationalstaaten-union
in abschottung übten und alles bunkerten
was in der krise von nutzen sein konnte

klimawandel tier- und naturzerstörung
flüchtlingskrisen und fremdenwahn
sie waren jetzt keine themen mehr
überhaupt schien all das
was vorher wichtig war
vollkommen bedeutungslos
das virus angst hatte nun alle befallen
ganz europa befand sich im stillstand
und bald würde es die ganze welt sein

auch die burg hatte ihre tore geschlossen
heiligabend war der einzige tag im jahr
an dem sie zu hatte
normalerweise
und nun das
fünf wochen
vorerst

mit großen augen stand er am fenster
und langsam wurde es abend
dann verschwand sie in der nacht

aber am nächsten morgen
würde sie
wieder da sein
schön wie immer

auf ihrem berg
dem mons solaris
für ihn und alle

 

pics & words: © paulson 

 

 

This entry was posted on Montag, März 23rd, 2020 at 14:49 and is filed under 2020. You can follow any responses to this entry through the RSS 2.0 feed. Both comments and pings are currently closed.