2020

burg 169

wie ein riesenhafter stern
strahlte die fahne der preußen
zwischen den dunklen türmen
hinaus ins stille zollernland

es war in den winterwochen
der zwangsläufigen verinselung
als er hinaufschaute und glaubte
eine kleine gestalt wahrzunehmen
die sich von zeit zu zeit bewegte

dann schärfte sich sein blick
auf wundersame weise

und erzeugte ein bild
von unwirklicher klarheit

übergroß und zum greifen nah
stand dort ein gealterter prinz
mit ernstem gesicht und einem
glas schweren dunklen weines
an einem der vielen fenster 
inmitten des in rot getauchten
mittelalterlichen prachtgemäuers

zum ersten mal überhaupt
war er mutterseelenallein 
im nächtlichen palast
auf dem monte solaris

und zum allerersten mal 
wurde ihm wirklich bewusst
wer er denn eigentlich war
und was er hätte sein können
wenn alles ein wenig später
oder anders gekommen wäre

und jener der emporschaute
ihn dort so stehen sah
und in ihn hineinblickte

stand seinerseits am fenster
grüßte hinauf zum einsamen 
mit einem glas vom roten
mit ebenso ernstem gesicht
denn auch er sah nun erst
was er hätte sein können
was er hätte werden sollen
unter den anderen umständen
wenn alles anders geworden
oder wenn er ein wenig früher 
auf diese welt gekommen wäre

dann
vollkommen unvermittelt
gerade als er im begriff war 
den anderen anzusprechen
löschte jemand die beleuchtung

und sie verschwand in der nacht

der prinz aber stand noch
eine weile dort am fenster
und träumte gedankenverloren
hinunter auf die goldenen lichter
der kleinen schwäbischen stadt

dann erhob er sich schließlich
und ging durch den großen saal
seine schritte hallten noch nach 
als er bereits verschwunden war

es war der 24.12.2020

 

pics & words: © paulson 

 

 

burg 168

getrieben von uralten wünschen
stürmten die romantischen
zur adventszeit nach oben

damit das schöne sie ergreife

ein wenig innehalten
ein wenig träumen
ein wenig zauber

im jahr der seuche aber
blieben die tore geschlossen

da standen sie länger noch
da schauten sie sehnender noch

und hofften auf bessere zeiten

 

pics & words: © paulson

 

 

burg 167

das traumartige
welches in jedem wohnte
hatten sie auf den berg gemauert

kaum etwas berührte sie tiefer
als dieses bild von traum

warum es so war
wussten sie nicht

und das war auch gut so

 

pics & words: © paulson

 

 

burg 164

am ersten tag des dezembers
gleich nach der geisterstunde 
kam der neue winter bebend
aus dem zollerngraben herauf
und rumpelte die schlafenden
aus den süßen traumlanden

er hatte das grummeln
schon wahrgenommen
bevor das schütteln kam
sein hölzerner adventsstern
vom regal herunterstürzte
und sich einen zacken brach

auch der schönen der nacht
war einmal vor vielen jahren
bei einem solchen geschehen
einer aus der corona gebrochen

er schaute hinüber zur lady in red 
da sein herz sich wieder beruhigte

alles war gut

 

pics & words: © paulson 

 

 

burg 163

immer war sie großes theater
und die sterblichen strömten
hinter die goldenen mauern
das schöne zu schauen

aber auch wenn sie schlief
in der kalten schwarzen nacht
erwärmte sie noch die herzen 
als ein bild aus dem träumeland

 

pics & words: © paulson

 

 

burg 162

seine vorfreude auf schnee
war eines der schönsten gefühle

wenn sie dann endlich 
im weißen kleid glänzte
unterm tiefblauen himmel
vom zauberzeug überzuckert
dann strahlte sie nicht allein

 

pics & words: © paulson