Im Garten

after the rain 2

Der Frühling ist zurück und mit ihm die Motoren. Gärten sind heute keine Orte der Ruhe und der Erholung mehr, sie sind Orte der Maschinenarbeit.

Ich weiß, das hatte ich schon einmal. Aber der Wandel ist tatsächlich beeindruckend.

Jedes Jahr stehe ich von neuem fassungslos angesichts des Wunders, das sich draußen vollzieht und der Tatsache, was die Menschen daraus machen. Lesen oder einfach mal dasitzen und den Frühling bestaunen, ist nahezu unmöglich geworden.
Da ist so ein Regentag wie gestern die reine Erholung für einen stillen Bewohner von Lärmanien.

In so einem Land der Lauten, da musst du gelassen bleiben, obwohl es dich verrückt macht, damit du nicht verrückt wirst. Klingt paradox? Ist es!

Gelassenheit ist ja bekanntlich Gleichgültigkeit gegenüber dem, was man nicht ändern kann. Und sei es noch so bescheuert. Jedenfalls ist an schönen Tagen im Frühling das Sitzen auf dem Balkon nur noch unter dicken Kopfhörern möglich. Dann ersetze ich den hässlichen durch etwas schöneren Lärm. Zum Beispiel durch die Musik von Mogwai. Und Rasenmäher und Laubbläser passen dann durchaus zwischen rein.

Da fällt mir Epikurs Athener Garten ein, in welchem er und seine Anhänger die Selbstgenügsamkeit lebten, sich bei guten Gesprächen mit dem Wenigen begnügten. Die Gewöhnung an eine einfache Lebensweise verleihe dem Menschen die Verfassung sein Leben zu meistern. Brot und Wasser erzeugten den Epikureern die höchste Lust. Eine hohe Lebensqualität war für den Griechen nicht die Anhäufung von materiellen Gütern, sondern die Gelassenheit, der Verzicht, die Selbstgenügsamkeit, die Schicksalsergebenheit, eine Art Herzens- und Seelenruhe, die er wohl Ataraxia nannte. Die sei vergleichbar mit der Ruhe des Meeres wenn kein Wind weht.

Wir lassen uns heute ohne Not von Konsum, Lärm und Gestank tyrannisieren und täglich treiben wir uns noch weiter in den kollektiven Wahnsinn. Und dem entfliehen wir dann in die letzten Paradiese, indem wir einen enormen Reiseaufwand betreiben, dessen Kosten später die Allgemeinheit zu tragen hat.

In der neuen ZEIT bezieht die brilliant schreibende Iris Radisch das Reiseverhalten der reichen Bewohner des Westens auf die Flüchtlingsthematik. Zuvor erläutert sie eine der wesentlichen Fluchtursachen: Die Menschen der Entwicklungsländer würden in nur wenigen Tagen aus dem Mittelalter in die Moderne fliehen, welche ihnen auch in den entlegendsten Winkeln via Smartphone permanent vor Augen geführt werde. Nichts könne diese Menschen aufhalten.

Dann schreibt sie:

In der kommenden Sommersaison wird es also jede Menge Zeitreisen geben: Während reiche Europäer auf der Suche nach der authentischen Welt von gestern teure Fernreisen buchen und sich unter der Führung gutgelaunter Reiseleiter an der Besichtigung hierzulande überwundener Lebensweisen erfreuen werden, bezahlen die in der Welt von gestern Lebenden überaus teure und übel gelaunte Reiseführer, die sie in die Gegenwart der traditionslosen Turbo-Moderne verschleppen. Es bedarf keiner allzu großen Hellsicht, um die Enttäuschung beider Reisegruppen zu prognostizieren. Der Ferntourist findet die Besonderheiten einer lokalen Armutskultur nur noch in folkloristischer Schrumpfform. Und tröstet sich an der öden Hotelbar. Der Flüchtling kommt statt in der Turbo-Moderne vorerst in der Turnhalle in Clausnitz unter. Und verzweifelt an der Ereignislosigkeit seiner Tage und den peinlichen Hassgrölern vor der Tür.

In dieser so genannten modernen Zeit scheint mir das gelassene Glück tatsächlich nur noch im Rückzug von einer wild gewordenen Gesellschaft möglich, denn diese steht unter dem Diktat von totaler Technisierung und Digitalisierung, totalem Konsum, totaler Naturzerstörung.

Schwer zu sagen wer dafür verantwortlich ist. Vermutlich gar niemand. Tiefenpsychologisch aber sicherlich die Sterblichkeit des Menschen und sein Wissen darum, sein Überlebenswille, seine Selbstliebe und die enorme Dynamik die sich aus allen dreien ergibt.

Von Milliarden von anderen Tieren einmal abgesehen sind wir aktuell 7 336 000 000 glückshungrige Menschenseelen auf dem Heimatplaneten. Das entspricht 7336 mal der Einwohnerschaft von Köln. (Wer das nachvollziehen möchte, der mache einmal auf einem Ball zwei Stunden und zwei Minuten lang jede Sekunde einen Punkt. Jeder dieser Punkte entspricht einer Million Menschen.) Und jeder einzelne Mensch versucht in erster Linie sein eigenes Lebensglück zu verwirklichen. Sei er Millionär, Flüchtling, Kindersoldat oder Penionär. Es ist kein Wunder, dass es nicht so gut steht um den Zustand des Planeten.

Wem das zu düster ist, der mag wohl weiterverdrängen. Das tu allerdings auch ich. Jeder tut es. Sonst bist du früher oder später in der Klapse. Es ist schon in Ordnung, wenn wir uns weiterhin das carpe diem verordnen. Vor allem, wenn einer wie Epikur Pate steht.

Auch das Lärmen in deutschen Gärten ist letztlich nur ein Teil des großen Seelentheaters. Nahezu alle unsere Handlungen sind unbewusst motiviert. Auch wenn wir in der Illusion leben, alles im Griff zu haben. Warum wir tun, was wir tun – wir wissen es letztlich nicht.

Ich glaube die Musik der schottischen Band Mogwai passt ganz gut zum Thema:

https://www.youtube.com/watch?v=NFoNuIK9644

https://www.youtube.com/watch?v=6DF-BkuWGBo

https://www.youtube.com/watch?v=eVbpP5tY1vY

Cheerio

Paulson


This entry was posted on Sonntag, Mai 15th, 2016 at 19:39 and is filed under 2016. You can follow any responses to this entry through the RSS 2.0 feed. Both comments and pings are currently closed.