Weiße Federn


Draußen schneit es weiße Federn. Nun dürfen wir doch noch ein wenig richtigen Bilderbuchwinter genießen. Grimmig kalt ist es gewesen und es dauerte Tage, bis sich meine Wasserleitung wieder erweichen ließ. Gestern dann ein rasanter Temperaturanstieg auf um die null Grad. Und da waren sie sogleich wieder, die alternden und alten Männer mit ihren Motorsägen; nutzten das wärmere Wetter, um die aufgestaute Krachmacherenergie abzulassen. Ach, wie ich sie liebe, und sie bringen mich inzwischen sogar zum dichten:


das säääääääääääääääääägen

mit motorsääääääääääääääägen

ist der säx des alters

unsääääääääääääääääglich


Wahrscheinlich ist das auf dem Dorf besonders schlimm, wegen des Mangels an alternativen Freizeitbeschäftigungen. Und seit es die Dinger so billig in allen möglichen Läden gibt, hat jeder zweite eine. Ich glaube, mit den Laubbläsern ist das genauso: Mit einem stinknormalen Besen bist du doch der Lakai, aber mit so einem Ding, hey, da hast du glatt was Sheriff-artiges! Der Krach macht hier den Unterschied. Ich lärme, also bin ich. Und es war wohl schon immer so, dass die ruhigeren und sensibleren Menschen den Lauten und den Machern nicht sagen, dass sie nerven. Im Kleinen wie im Großen.

Hab es wohl schon einmal geschrieben: Ich denke dass nur relativ wenige dominante Menschen in unserer Gesellschaft den Ton angeben. Lass es in Deutschland 100 000 sein. Die sagen dann dem Rest, was der zu tun hat. Und die 80 Millionen Menschen „Rest“ schauen, dass sie dem Tempo und den teilweise irren Anforderungen hinterher kommen.
Ein großer Teil unserer Bevölkerung lebt inzwischen tatsächlich im Hamsterrad, oder im Haifischbecken, welches in etwa dasselbe sein dürfte. Die Menschen werden instrumentalisiert, entmündigt, entwürdigt. Und das Schlimme daran: Es wird oft noch so getan als wäre ein Unternehmen besonders nachhaltig oder sozial. Das Gegenteil ist aber oft
der Fall: Die Menschen arbeiten unter Umständen sogar weniger als früher, doch im globalisierten Wettbewerb sollen sie immer flexibler und immer erreichbar sein. Im Grunde arbeiten immer mehr in einer Art Dauerbereitschaft und Dauerüberwachung.

Was noch zur Unzufriedenhait beiträgt ist, dass die wenigen Tausen Macher die Hälfte des gesamten Profits einstreichen, den sie mit Hilfe der 80 Millionen „Rest“ machen.

Manchmal kann ich es nicht glauben, wie blind wir alle zusammen sind. Denn dieses Leben in der Konsum- und Leistungsgesellschaft widerspricht so ziemlich allen guten Werten: Nachhaltigkeit, Bescheidenheit, Langsamkeit, Gesundheit. Kein Wunder, dass die Menschen da krank werden, kein Wunder, dass sie dem Leistungsdiktat zu entfliehen versuchen. In die Krankheit, in die Spiritualität, in den Seitensprung.

Dieses System des immer mehr zerstört nicht nur die Lebensqualität der Menschen. Es ist auch krass, mit welchem Tempo wir die Ressourcen des Planeten verjubeln. Und die Politik jubelt wenn alles immer noch weiter wächst, und viele Menschen erfreuen sich an den halb geschenkten Produkten. Autos, Wohnungseinrichtung und Kleidung sind zur Mode geworden, sie richten sich schon lange nicht mehr nach dem Bedarf. Was daran liegt, dass eine ganze Industrie damit beschäftigt ist, den Menschen zu suggerieren, was sie noch alles brauchen, um moderne und attraktive Menschen zu sein! Und fast alles wird weggeworfen. Früher ließ man Scheren noch schleifen, heute gibt es beim Discounter gleich fünf für drei Euro. Nur zum Beispiel.

Die kürzlich überschrittene Zahl von sieben Milliarden Menschen ist in diesem Zusammenhang auch zum Fürchten. Wer meint, unser Planet könne locker zwölf Milliarden ernähren, der verkennt, dass die Ernährung tatsächlich nicht das Problem ist (eher die Verteilung), sondern die Tatsache, dass diese sieben Milliarden Menschen genauso verschwenderisch leben wollen, wie wir das seit über 50 Jahren in Deutschland tun. Wer etwa Negativwachstum oder Verzicht fordert, der läuft in dieser Gesellschaft Gefahr, gesteinigt zu werden. Zumindest wird er nicht ganz ernst genommen, oder als moralinsauer abgewunken. Es wird aber einen beschei-deneren Kurs geben müssen, weil dieser momentane geradewegs zum Abgrund führt. Und je länger wir das alles so laufen lassen, desto rigider werden dann einmal die Einschnitte in unsere Freiheit sein.

Viele Menschen spüren und wissen das, und versuchen auf ihre Art auszubrechen aus dem Mainstream. Tatsache ist doch, dass man auf einem begrenzten Planeten nicht auf Dauer auf Wachstum setzen kann. Das versteht bereits ein kleines Kind. Es gibt zwar einige positive Entwicklungen, aber meist bedarf es dazu einer Katastrophe, doch schon nach kurzer Zeit schlägt die alte Dynamik dann wieder zu. Das Problem: wir Menschen sind egoistisch, ziemlich unersättlich, wir sind zu viele, und wir sind allesamt Weltmeister im Verdrängen.

Zu den Themen Technik, Konsum, Leistung, Burnout, Kommunikation empfehle ich Euch heute zwei Links aus dem Schweizer Fernsehen, aus der schönen Reihe Sternstunde Philosophie:

Gernot Böhme: Hat der Mensch die Technik noch im Griff?

http://www.videoportal.sf.tv/video?id=6a56ddad-7e08-40c3-97fa-968bf17283c5

Miriam Meckel: Burnout – wenn die Seele streikt

http://www.videoportal.sf.tv/video?id=739d0037-5ca3-45a0-be1d-4f236ad66b6f;DCSext.zugang=videoportal_aehnlichevideos

Ich danke Euch für Euer Interesse an BLUE WINE. Ich bin gerade dabei, die Tour vorzubereiten. In Kürze erfahrt Ihr auf diesen Seiten mehr.

Und hier noch ein Song, einer meiner allerliebsten ever. Es ist eine ziemlich unperfekte Version von 1995, aber ich find sie dennoch toll. Und sollte noch jemand bezweifelt haben, dass wir vom Tier abstammen, hier ist der Beweis: Der Mensch – das spielende, das liebende, das singende, das tanzende Tier!

http://www.youtube.com/watch?v=3_7ELfeS4hI

Bis demnächst,

Paulson

This entry was posted on Dienstag, Februar 14th, 2012 at 23:18 and is filed under 2012. You can follow any responses to this entry through the RSS 2.0 feed. Both comments and pings are currently closed.