wenn es schön klingt…

meer im ostland 2016











…geht so ziemlich alles. sogar ein song über die b 96 von zittau nach rügen. irgendjemand hat mal gesagt, van morrison könne alles besingen, auch wenn er aus dem telefonbuch vortrage, würde das wunderschön klingen. da ist wohl was dran. es kommt uns menschen nicht so sehr auf das was an, das wie ist uns oft wichtiger.

die poprock-formation silbermond, auf die ich eigentlich nicht stehe, hat nun auf ihrem neuen album einen song über die b 96 vorgelegt. ist dafür nach nashville gefahren zu den profis. der song ist mystisch, hat einen ruhigen pulsierenden beat. den zauber von manchen liedern der großartigen katja werker. er hat das potenzial mich zu tränen zu rühren. weiß der geier warum.

aus jedem menschen
strömt ein geheimnis
das keiner kennt

woher soll ich wissen wer ich bin?

wo ich war weiß ich.

seit meiner kindheit immer wieder im deutschen ostland. bei tante und onkel, den skifliegenden cousins, ich habe die schaurigen grenzanlagen erlebt, die kälte der diktatur, die wärme der menschen, ihre sehnsucht frei zu sein und wie sie der humor rettete. trabbis auf langen alleen und kopfsteinpflastern, den gestank den sie über die landschaft legten, das fruchtsaftkombinat, in welchem mein onkel tätig war. den mauerfall und danach x reisen mit dem rad durch die neuen länder mit großartigen landschaften, wunderbaren menschen, die jahrzehntelang von einem extrem ins nächste hineingerissen, ihre identitäten immer wieder anzupassen verstanden. kein wunder kam es da auch zu verwirrungen und verirrungen.

ja, man hört derzeit so viel negtives über den osten deutschlands, auch aus bautzen, wo silbermond herkommen. tatsächlich habe ich auf meiner reise in diesem sommer und am meer auf usedom eine veränderung bemerkt. es waren viele tätowierte menschen ohne haare mit dicken muckibudenmuckis und versteinerten gesichtern unterwegs. es wirkte auf mich, als hätten sie sich wehrhhaft gemacht für einen anstehenden kampf. habe mich weniger wohl gefühlt als noch vor zwei jahren.

nicht nur im osten, aber dort vielleicht besonders, geht eine diffuse angst um in manchen köpfen. eine menschliche, eine unvernünftige angst, die überall dort blüht, wo die bilder von fremden  eine eigendynamik gewinnen, ohne dass begegnungen zwischen den einander unbekannten stattfinden.

es gibt keinen grund, die flüchtlingskrise kleinzureden, aber diese aus krieg und elend geflohenen aufzunehmen war ein akt von menschlichkeit und nicht der untergang des abendlandes, wie uns die angstbesessenen und teilweise kriminellen glauben machen wollen. wir sollten uns nicht ängstigen, sondern den menschen begegnen und lernen miteinander zu leben. worte aus dem munde eines insulaners, der weiß, wie schwierig es sein kann, menschliche begegnungen zu wagen. dennoch sage ich: eine humane gesellschaft darf die augen nicht verschließen vor menschen, die vor krieg, terror und elend davonlaufen. jeder von uns würde ebenso handeln. wer gegen die migranten hetzt oder schlimmer, der hat selbst ein problem.

die krisen der welt werden auch unser land verändern. es ist keine gute lösung, wenn wir uns einmauern. wir sind ein reiches land und sollten die elenden aufnehmen und viel mehr noch dafür arbeiten, dass die krisen vor ort beseitigt werden. diplomatie und lösungen sollten wir exportieren statt waffengeschäfte zu tätigen.

die angst-populisten in europa und der welt haben derzeit hochkonjunktur. aber angst ist kein guter ratgeber. kluge politik, entschlossenes handeln und beseitigung der weltweiten ungerechtigkeiten sind die schlüssel zu einer mittel- bis langfristigen verbesserung der lage. natürlich müssen wir wehrhaft sein. aber nicht, indem wir uns einbunkern.

ich muss aber auch sagen und es muss gesagt werden dürfen, ohne gleich in eine rechte ecke gestellt zu werden, dass teile des islam mich auch ängstigen. die frage, wo toleranz ihre grenzen hat, ist eine in unserem land selten diskutierte. wir sollten vernünftig darüber sprechen. kurios finde ich es allerdings, wenn jene, die mit dem christentum nichts oder wenig am hut haben, plötzlich zu verteidigern des christlichen abendlandes mutieren.

es scheint fast so, als würden reflexe das denken der menschen bestimmen. das war noch nie gut, es muss aber bedacht werden, dass das denken mit dem bauch auch zum menschen gehört. eine kluge politik sollte das berücksichtigen, aber niemals ihre ideale aufgeben um billige wahlsiege zu erringen. was machst du aber als politiker, wenn dir derart die felle wegschwimmen, wie das derzeit bei der cdu der fall ist? nun, ich muss mich gewiss nicht um die cdu sorgen, aber ehrlich gesagt: politiker würde ich auch nicht gerne sein in einem land von konsumenten und hassbürgern (siehe z.b. zdf-produktion hassbürger zwischen protest und extremismus, u.a.). es bedarf wohl des mutes eines jeden demokraten, um da nicht lange geschätzte errungenschaften in windeseile wieder zu verlieren. man kann nur hoffen, dass die menschen ihre zivilcourage nicht verloren haben, im tagtäglichen kampf um produkte.

auf meinen reisen durch die landschaften im herzen europas habe ich jedes jahr die chance zur besinnung zu kommen, mich und die welt von außen und mit abstand zu betrachten. mit am schönsten sind tatsächlich die im song beschriebenen frühmorgendlichen fahrten durch die felder und wälder. dort kann ich jede menge gedanken verträumen und durch gottverlassene gegenden und dörfer fahren. diese jährliche reise ist mein ganz persönlicher jakobsweg. da kommt einiges in bewegung. ich kann es nur jedem empfehlen, eine solche fahrt auch einmal alleine zu unternehmen.

zum ersten mal hatte ich diesmal ein so genanntes smartphone mit dabei. hatte vorher keines besessen. bin nun auch teil dieser art des konsums. genieße nun auch diese freiheit, die wohl eher das gegenteil ist. ich habe mir das gerät angeschafft, um nicht ständig von was zu reden, das ich im grunde nicht kenne. nun weiß ich, wie es sich anfühlt, 20 whatsapp-nachrichten in 20 minuten zu schreiben und ständig dinge nachzulesen, die ich nicht wusste und damit ganz gut lebte. ich stelle fest, dass ich mit dem phone nicht immer bei mir bin und dass mich auch stört, nicht zu verstehen, was da in meinem gerät alles mit mir geschieht, was da mit uns menschen geschieht, im ominösen hintergrund der big data.

erstaunlich
wie schnell doch
ein paar amerikanische nerds
die welt der menschen
von einer realen
zu einer virtuellen
gemacht haben

der mensch ist sehr formbar
alles ist jederzeit denkbar

erschreckt euch die energie und der optimismus der überholspur-menschen nicht auch? dieser enorme soziale und kommerzielle druck der gemacht wird, vor allem unter den heranwachsenden, die ja die zukunft der welt sind. ich sage nichts gegen die menschen, schon gar nicht gegen den einzelnen. ich sorge mich, nicht weil mir der mensch egal, sondern weil er mir wichtig und unsere spezies überaus schützenswert ist.

ach
die menschen
diese wunderschönen
sehnsuchtstierchen

was sie nicht alles tun
für ein wenig zugehörigkeit

es scheint mir so, als würden die meisten von uns heute eine lähmende furcht vor kritischen gedanken und auseinandersetzungen haben. dass sie instinktiv alles vermeiden, was ihr positives selbstbild und ihre konsumlaune stört.

dabei ist es uns doch so wichtig, dass es uns an der seele gut geht. glauben wir allen ernstes, dass wir durch das kaufen von sachen unsere mitte finden? wir sind doch eigentlich viel mehr träumer als käufer, unsere seelische ist uns viel wichtiger als unsere materielle verfassung. das problem ist nur, dass eine gigantische industrie pausenlos daran arbeitet, uns vom gegenteil zu überzeugen. sie versuchen, unsere träume zu verknüpfen mit ihren produkten und dienstleistungen, von denen wir die allermeisten gar nicht bräuchten.

heute ist der himmel nicht mehr voller träume
heute ist der himmel voller hightech

der mystische anteil des menschen wird umgeleitet
in die konsumtempel
auf die letzten inselparadiese
in die chatrooms verirrter verlorener

ich glaube, dass es pegida und die anderen protestbewegungen nicht nur wegen der flüchtlinge gibt. sie sind höchstens der aktuelle anlass für die vermeintliche rückbesinnung auf heimat und nation. die protestler sind womöglich hauptsächlich menschen, die mit der dynamik der so sehr gepriesenen globalisierung, die doch eher ein gnadenloser konsumismus ist, und mit der komplexität der welt nicht mehr zurecht kommen und nicht bemerken, dass sie lediglich einen sündenbock suchen für alles. die flüchtlinge sind schuld und die politiker sowieso. toll. es lebe das feindbild.

aber bevor ich hier nun endlos weiterschreibe, möchte ich lieber noch ein paar sätze von richard david precht aus der zeit zitieren, die ich gestern früh gelesen habe und die ich für zutreffend halte. die entnommenen absätze stammen aus einem längeren artikel. er erschien unter dem titel


unsere gereizten seelen. europa braucht staatsbürger und keine konsumenten
.

je stärker der wohlstand steigt, umso unpolitischer die menschen. und je unbegrenzter der liberalismus schaltet und waltet, umso blasser das politische bewusstsein der bürger.[…]

liberales wirtschaften und funktionierende demokratie sind heute in europa untrennbar miteinander verbunden, so untrennbar, dass wir uns das eine ohne das andere kaum vorstellen können.[…]

bis in die feine unterwäsche unseres bewusstseins hinein hat er [der grenzenlose kapitalismus] unsere staatsbürgerschaft gelöscht und uns zu kunden, konsumenten und usern gemacht.[…]

und genau das ist das telos [ziel] unserer ökonomie: nicht der zufriedene konsument ist ihr ziel, sondern der immer wieder neu unzufriedene.[…]

die digitale welt verheißt jedem die illusion ein meinungsmacher zu sein [siehe paulson-songwriter.de]. doch aufmerksamkeit erregt man im netz (wenn überhaupt) maximal für stunden. das internet generiert keine politische bewegung von dauer – ob piratenpartei oder arabischer frühling: was im netz blüht, verwelkt in bisher ungeahnter geschwindigkeit. im grunde ist unsere gesamte private und politische vorstellungswelt durchfunktionalisiert mit unterhaltungsfiktionen.[…]

realität ist im zeitalter der fiktionen immer das, was sich wie realität anfühlt. die maßlos übertriebenen ängste vor terror oder überfremdung sind nur die flüchtigen gegenwärtigen befürchtungen, gestern war es der klimawandel und die vogelgrippe, und morgen wird etwas anderes auf die schiefe bahn geraten. donald trump und die republikaner haben das längst begriffen. gleichwohl reagieren die gleichen menschen, die ihre ängste für realität halten, weil es ihre ängste sind, argwöhnisch auf jede berichterstattung, die ihnen nicht gefällt. so hätscheln rechte ihre rechten verschwörungstheorien und linke ihre linken.
doch während unsere gesellschaft auf diese weise panfiktionalisiert [überall in fiktion verwandelt] ist, grenzt sie sich gleichzeitig hart und unerbittlich von einer sphäre ab, von der sie größtmögliche sachlichkeit erwartet: die tagtägliche politik und ökonomie. hier duldet man nicht die geringste fantasie, sondern verschreibt sich einem götzen der sachlichkeit namens effizienz.
diese trennung von privaten fiktionswelten und ernüchterter lebenswirklichkeit dürfte der wichtigste grund sein, warum politik langweilig wird, nicht nur im hinblick auf europa.[…]

keine entwicklung, nur trailer, gedreht von einer völlig überreizten medialen erregungsindustrie. wir leiden heute an einer digitalen gedankenverengung wie das mittelalter an einer religiösen. unsere denkschemata kennen nur like und dislike, lieben und hassen. die mehr als fünfzig schattierungen von grau verschwinden aus unserer sprache und aus unserem denken.[…]

soweit richard david precht.


jetzt aber endlich der song von silbermond.

tschüss,

paulson

https://www.youtube.com/watch?v=T-y_0Hmgdec



This entry was posted on Sonntag, Oktober 2nd, 2016 at 21:08 and is filed under 2016. You can follow any responses to this entry through the RSS 2.0 feed. Both comments and pings are currently closed.