Winter


Das wird einen Frühling geben! Er wird ein Fest werden! Die Gärten und Wiesen und Wälder werden erblühen – und erst die Seelenlandschaften der Menschen! Nach so einem schneebepackten Eisschrankwinter wird die Wärme sooooo guttun.

Ja, selbst ich als bekennender Winterfan sehne mich nun nach wärmeren Tagen. Hat aber auch damit zu tun, dass ich nach einer Operation derzeit nicht durch die Zuckerwattewälder tigern darf. So schau ich es mir halt von drinnen an, wie der schäbische Himmel Flöckchen auf die Landschaft schneit. Mit einem guten Buch und einer Tasse Tee ist das Drinbleiben ja auch nicht gerade eine Strafe.

Gut gefallen haben mir in letzter Zeit der neue Paul Auster, Invisible, Exit Ghost von Philip Roth und Luc Ferrys Philosophie-Bände. Und derzeit bin ich mit Charles Darwin und der Beagle auf Weltreise. Jürgen Neffes Buch ist exzellent geschrieben. Eine Mischung aus Reiseerzählung, Darwins Entdeckungen und Lehre und einer beeindruckenden philosophischen Einordnung des Ganzen.

Der Gig im Glemser Hirsch war wieder schön, so wie die überraschenden Begegnungen vor und nach dem Konzert. Diesmal wieder mit Artur, und einem Angel, das mich am Herzen berührte. Danke, Arturo! In der Faschingszeit keine Faschingsband zu sein empfinde ich immer als besonders wertvoll. Die Zeitungen, Straßen und Hallen sind voll mit den hüpfenden Horden, denen ich nichts abgewinnen kann. Da fehlt mir wohl die entsprechende Sozialisation, das Narren-Gen. Wenngleich ich als Junge einige Jahre lang das von meinem Vater geschneiderte Winnetou-Kostüm gern getragen hab. Nun, wieder mal gilt: Jedem das Seine. Die meisten Songschreiber sind nicht gerade gruppengesellige Typen, und das gilt sicherlich auch für mich. Und gesellig sollte man schon drauf sein, wenn man sich ins bunte Treiben wirft.

Der nächste Auftritt wird am 19.3. im Kräuterkasten in Ebingen sein. So wie´s aussieht wieder mit Andy Schoy und Artur Stopper, und womöglich mit einer Überraschung. Unsere Damen Ilona und Jasmin Roth werden leider bis auf weiteres nicht mehr dabei sein und neue Wege gehen.

Manchmal verstehen wir die anderen nicht. Das liegt vor allem an unseren Erwartungen an sie. Ich stell das immer mehr fest. Das Leben ist doch ein einziges Feuerwerk von Projektionen. Wir schreiben unsere eigenen Wünsche anderen Menschen zu. Wenn uns dieser Mechanismus bewusst ist, dann wundern wir uns über weniger, dann sind wir seltener enttäuscht. Ich kann mich nur wiederholen: Wenn wir nicht einmal wissen, wer wir selbst sind und was in uns vorgeht, dann ist es doch reichlich naiv zu glauben, man könne den anderen verstehen. Zum Beispiel bei einer überraschenden Entscheidung.

Je länger ich lebe, je mehr ich darüber nachdenke, desto klarer wird mir, dass es so ziemlich das Dümmste ist zu glauben, man wisse wie ein Mensch oder die Welt ist. Und in einer Sache Recht haben zu wollen ist, wenn man sich das genau überlegt, doch reichlich kindisch. Viele Menschen sind bei Auseinandersetzungen mit Worten sehr gut. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass sie deshalb im Recht sind. Meist geht es doch nur darum, sich gegen den anderen durchzusetzen. So sind wir wohl angelegt. Ich glaube, das ist Teil unserer biologischen Ausstattung. Früher, und das ist noch gar nicht so lange her, kostete es das Leben, wenn man andauernd verlor. Deshalb unser natürliches Programm, andere dominieren zu wollen. Das ist noch bei den allermeisten Menschen das vorherrschende Muster. Angesichts dieses archaischen Egoismus bleibt zu hoffen, dass wir es in einer zivilisierten Kultur immer weniger nötig haben, den anderen schlecht zu reden um selbst gut dabei auszusehen. So manche Beschuldigung und Rechthaberei könnte aber auch eine Trauer über ein Nichtgelingen oder einen Verlust sein. Wir Menschen sind komplexe Wesen. Unmöglich zu sagen wann das Natur- und wann das Kulturwesen mehr agiert. Die beiden Dimensionen werden sich über die Jahrtausende auch ganz gewiss vermischt und gegenseitig beeinflusst haben…

Und nochmal zum Recht-haben-wollen und zum „nur die Wahrheit“ sagen:  Wahrheit und Objektivität sind für den zwischenmenschlichen Bereich wertlose Größen. Sie sehen bei jedem Menschen anders aus. Der andere sieht das eben anders. Weil er in einer abgeschlossenen eigenen Welt der Interessen und Gefühle lebt und Empathie sehr unterschiedlich stark entwickelt und wohl ohnehin oftmals instrumentell, also egoistisch motiviert ist.

In unserer relativ heilen mitteleuropäischen Welt sind viele von uns vom täglichen Kampf ums Überleben abgekoppelt. Wir tun unsere Arbeit, und in der restlichen Zeit kümmern wir uns um unser persönliches Glück, um Beziehungen, Hobby, Urlaub. Dass die Menschen woanders ums Überleben kämpfen – täglich 40 000 mal vergeblich…und ich meine damit nicht die „Normalsterblichen“ – das können wir ebenso verdrängen wie die Tatsache, dass immer mehr Menschen immer weniger Rohstoffe aufbrauchen, wir unseren Kindeskindern die natürliche Lebensgrundlage entziehen und gigantische Schulden- und Müllberge hinterlassen.

Ich glaube immer mehr, dass der Mensch nicht entsprechend dafür ausgestattet ist, langfristig zu denken. Wir haben eine angeborenes „Talent“ für das kurzfristige Überleben. Außerdem sind wir von Natur aus aggressiv, faul und vergesslich. Außer wenn wir eine Verletzung erfahren. Die vergessen wir nie. Wenn die Erde zugrunde geht, das scheint uns egal, aber wenn uns jemand beleidigt oder kränkt oder uns gar nur mal offen die natürlich subjektive Meinung über uns sagt, dann laufen wir durch die Gegend wie geschlagene Hunde. Und weil der Mensch so und noch ganz anders ist, braucht man sich im Grunde über nichts mehr zu wundern. Unsere sozialen und moralischen Ansprüche – sicherlich auch meine eigenen – überragen die natürliche Ausstattung des egoistischen Menschen – um mindestens einen Mount Everest!

Ob uns letztlich der wissenschaftlich-technisch-wirtschaftliche Komplex wirklich retten kann? Da war ich ehrlich gesagt schon mal zuversichtlicher. Inzwischen kann ich mir leider gut vorstellen, dass es in nicht allzu ferner Zukunft dazu kommen wird, dass die Menschenrechte –eine richtige, aber doch idealistische und sehr zerbrechliche Idee – über Bord geworfen werden und dann wieder ausschließlich das Recht des Stärkeren und Mächtigeren gilt. Ich glaube nicht, dass ich da besonders pessimistisch bin, angesichts eines Wirtschaftssystems, das Menschen ausbeutet, um Produkte herzustellen, von denen wir die meisten gar nicht bräuchten; angesichts einer Weltbevölkerung von bald zehn Milliarden; angesichts der knapper werdenenden Rohstoffe; angesichts der klimatischen Veränderungen und immer krasserer Ungleichheiten. Noch leben wir hier auf einer Insel der Glückseligen. Noch ist Frieden. Aber wir alle sind Teil und die Knechte eines grundlegend falschen Systems. Und der Grund dafür scheint mir der natürliche Egoismus des Menschen. Wenn Darwin Recht hat, dann trägt jeder von uns ganze Affenheere in sich, tausende von Generationen von relativ primitiven Egoisten. Wären wir nicht solche egoistischen Überlebenskünstler, hätten nicht wir es bis hierher geschafft, sondern andere…
Natürlich sind wir Menschen viel mehr als weiterentwickelte Primaten, keine Frage, und doch glaube ich, dass wir unsere natürliche Herkunft und Beschaffenheit viel zu oft ausblenden. Dabei ist sie immer und überall sichtbar.

Ich will an dieser Stelle diese zugegebenermaßen eher unromantischen Betrachtungen abbrechen und euch gleich wieder dem Winter überlassen, dem Schönen. Vielleicht noch dieser Gedanke:

Jeder Mensch schafft seine eigene Welt
und glaubt dann es sei die Welt aller.

Sollte ich Euch also mit meinen Gedanken beunruhigt haben, so tröstet Euch damit. Vielleicht spielt sich das ja alles nur in meinem kleinen unbedeutenden Kopf ab. Und Ihr lebt in einer ganz anderen Welt…

Bald kommt wieder die Blumen-Zeit!

Paulson (13.2.2010)

This entry was posted on Sonntag, Februar 14th, 2010 at 14:19 and is filed under 2010. You can follow any responses to this entry through the RSS 2.0 feed. Both comments and pings are currently closed.