Der Ort der Liebe


Meine lieben Seelenschwestern und  Seelenbrüder,


Nach einem seeeehr schönen Konzert in der Balinger Zehntscheuer mit special guest Andy Schoy ist die nächste Station der Skies-Tour das Hechinger Fecker.
An keinem Ort hab ich öfter gespielt, ich glaube es ist das elfte Mal. Ich freu mich sehr da drauf. Auf die intensive Atmosphäre im legendären Gasthaus mit Sofa, Kachelofen, Theke und Mini-Bühne. Musik zum Anfassen…

Vieles geht mir im Kopf herum in diesen Tagen. Ein paar Dinge – die mal wieder keine Dinge sind – möchte ich hier aufschreiben.

Ich bin sehr viel draußen, laufe durch die Gegend, sitze an meinem Lieblingsort in der Sonne und lese, denke, schreibe, schaue, staune…. Staunen tu ich nach wie vor am meisten darüber, wie wenig wir Menschen doch wahrnehmen, dass wir Teil eines großen Ganzen sind, das wir Kosmos nennen. Das klingt jetzt vielleicht ein wenig groß angelegt…aber ist es nicht so? Kommen wir nicht aus dem großen Granzen…in das wir dann am Ende unseres Lebens wieder heimkehren? Sind wir denn etwas anderes als all die anderen Lebewesen auf diesem Planeten, Tiere wie Pflanzen? Ich kann nicht so recht sehen, ehrlich gesagt, was uns erheben sollte über all die anderen Wunder dieser Welt?? Gut, wir sind vielleicht besonders klug, sind uns unseres Lebens bewusst, und wir wissen auch, dass dies Leben endlich ist. Gibt uns dies aber das Recht, den Planeten zu planieren, zu betonieren, Tiere massenweise zu töten? Dass wir unsere eigene Lebensgrundlage vernichten ist für mich nicht das Hauptargument etwas zu ändern. Das finde ich schlichtweg dumm – so gewalttätig und dumm wie der Mensch ist kein anderes Lebewesen… Nein, ich  finde, wir sollten eine andere Begründung finden, als immer nur unseren eigenen Vorteil. Wie wär es damit: „Die Würde aller Lebewesen ist unantastbar“. Würden wir dieses Grundrecht  auf alles Leben erweitern, so hätten wir natürlich ein bis drei Problemchen. Ich will es auch nicht zu weit treiben. Aber einfach mal so angedacht: Warum sollte eigentlich nur das menschliche Leben heilig sein?

In unserer unersättlichen Gier nach immer mehr Geld, Eigentum, Grundbesitz und Spaß sind uns die anderen Menschen und unserer Planet egal. Ich denke schon, dass man es so hart sagen muss. Was wir hier auf Erden veranstalten können wir niemals im Himmel wieder gutmachen.

Dabei gibt es doch Glaube, Liebe, Hoffnung, Verfassungen…es gibt doch Werte, und die Menschen haben doch genug Informationen bekommen, dass sie wissen müssten, dass es so nicht mehr weiter gehen kann. Aber es geht immer noch extremer weiter. Immer noch mehr Menschen schaffen immer noch mehr Wachstum, produzieren immer noch mehr Dinge, von denen wir das Wenigste wirklich brauchen. Und der Preis für dieses andauernde Wachstum sind Umweltzerstörung, Leistungsdruck, Beziehungslosigkeit. Warum spricht eigentlich niemand darüber? Wenn ich Fernsehdiskussionen mit Politikern sehe, geht es eigentlich nie um die wichtigen Dinge. Immer nur geht es darum, wie wir es schaffen können, wieder aus der Depression zu kommen, der wirtschaftlichen natürlich…dass wir langsam alle in eine ganz andere Depression hineingeraten…in eine ökologische Überlebenskrise einerseits, und in eine seelische Sinnkrise andererseits, das scheint keinen zu interessieren. Das gute Leben scheint immer nur im materiellen Sinne gemeint zu sein. Gut, hier schreibt einer, der einen sicheren Beruf hat, da hat man leicht reden. Das stimmt schon. Ich bin sehr froh darüber, dass das so ist. Aber ich finde, dass wir grundsätzlich falsch leben, weil wir materielle Werte und Sekundärtugenden wie Fleiß, Pünktlichkeit und Leistung in den Vordergrund rücken und echte Werte wie Verantwortung, Gerechtigkeit oder Mitgefühl nur selten praktizieren.

Das gilt für die Schule ebenso wie für die Arbeitswelt. So langsam scheint unsere Realität ein einziger Überlebenskampf zu sein. Und jetzt drängen auch noch 1000 indische Ingenieure am Tag auf den Weltmarkt…. Unsere Vormachtstellung ist gefährdet, wir werden noch härter arbeiten müssen! Heute scheiden doppelt so viele Menschen wegen psychischen Belastungsgründen aus dem Beruf aus als vor dreißig Jahren. Dieser Trend wird sich weiter beschleunigen. Das wird nicht gut enden, glaub ich.

Als Lehrer versuche ich natürlich meinen wunderbaren Schülerinnen und Schülern – sie sind offen, neugierig, optimistisch, aber oft genug schon voll im Leistungshamsterrad – Hoffnung zu machen. Ich versuche sie neben all der Wissensvermittlung und praktischen Lebensbewältigung zu eben diesen echten Werten zu erziehen. Dass sie verantwortlich handeln, sich über die Konsequenzen ihres Handels bewusst werden können, dass sie den Blick auf sich selbst schaffen, wahrnehmen, dass sie Teil eines großen Organismus sind und nachhaltiges Handeln fast immer ein Innehalten und Nachdenken benötigt, und eben nicht ein Immerschnellerimmermehrimmerweiter. Die Tragik dabei ist nur, dass dieses Ideal in der realen Welt kaum mehr vorkommt. Meine Arbeit erzeugt womöglich einen unüberbrückbaren Widerspruch in diesen jungen Menschen. Vielleicht ist es wirklich besser, wenn wir nur noch dafür sorgen, dass sie da draußen überleben: Für sich selbst, für ihre Firma, „und was man nicht ändern kann, dem muss man sich halt fügen“. „Change it, love it or leave it“…Es gibt ja inzwischen genug Patentrezepte für den Gruppen- und den Einzel-Egoismus. Nein, ich frage mich ernsthaft, wohin sich diese Gesellschaft noch bewegen wird….

Und so sucht halt jedes Menschlein in seiner kleinen Nische sein eigenes kleines Glück. Vielleicht bin ich dafür derzeit das beste Beispiel… Selbstverwirklichung ist unsere neue Religion. Wobei hier der Weg das Ziel sei, heißt es…Wer möchte schon ein Ankommen, ein Stillstehen…ein endgültiges Wissen oder Haben oder Sein? Nur selbsternannte Gurus können das wollen, und Gestalten, die entweder zu sehr oder gar nicht mehr von dieser Welt sind.

Im Zusammenhang mit Robert Enkes Verzweiflungstat wurde endlich mal wieder über Gesellschaft und Werte, über Leistungsansprüche und Depressionen gesprochen. Ich fürchte nur, dass diese medial aufgeblasene Betroffenheit so schnell vorbei sein wird wie sie gemacht wurde. Die Berichterstattung der Privaten erzeugte mir ganz besondere Übelkeit. Der Tod eines Verzweifelten als Handelsware… Immerhin hat das Land einmal ein wenig innegehalten, die Menschen hatten im zersplitterten Pluralismus der Medien mal wieder ein gemeinsames Thema… Die High-Tech-Profitgesellschaft bedauert den Verlust der Werte, der Menschlichkeit. Fußball ist nicht alles…Mitgefühl auf Vorrat für die nächste wieder knallharte Zeit des Schaffens…

Zu negativ…? Hoffentlich!

Ich habe in den letzten Jahren kaum mehr Songs mit politischen Themen geschrieben, vielleicht eine Handvoll. Natürlich sind politische Themen wichtig, und natürlich muss sich auch die Kunst damit beschäftigen. Für mich spannender war und ist es aber, zu erspüren, dass die Seele des Menschen der Ort ist, wo sich so ziemlich alles entscheidet – wie ich lebe, entscheide, wen ich liebe und was mich ängstigt. Ein Mensch, der sich seines Selbst bewusst ist und eingestehen kann, dass vieles unklar und offen ist, der muss nicht mehr Krieg führen, der muss sich nicht unter allen Umständen durchsetzen oder festlegen, der muss nicht übernehmen, was Medien oder andere Menschen ihm auftischen. Vielleicht können letztlich nur die gefühlvollen Menschen den Rationalisten, den Betriebswirtschaftlern und Maschinenbauern – auch den Neurowissenschaftlern, die uns glauben machen wollen, dass wir das Produkt unserer Verschaltungen sind…geht es noch materialistischer…wo ist der ganze Rest des Menschen? – vielleicht können nur sie die Materialisten wieder zurück auf den Weg der Menschlichkeit bringen. Wenn ich im Fernsehen eine Talkshow anschaue, dann sind die sogenannten Spezialisten und sogenannten Verantwortlichen meist unerträglich gleichförmig und langweilig. Wenn da aber ein Mensch drin sitzt, ein Künstler, eine Mutter, ein Arbeitsloser, zum Beispiel, dann wird die Diskussion meist lebendig, im wahrsten Sinne des Wortes…

Nichts von dem was ich hier schreibe ist sicher…wie könnte es das auch sein?

Hey, seit Jahren lest Ihr hier meine Gefühlsausbrüche…und ich hab Euch die ganze Zeit gefragt was die Seele denn nun sei. Heut Nachmittag hab ich es unter der Burg mal aufgeschrieben. Über dem Zementwerk lagen gerade drei goldumrahmte Wolken im letzten Sonnenlicht. Hier also mein Gedichtlein:


der ort der liebe


was ist sie nun, die seele?

ich glaube, sie ist ein raum

im inneren des menschen,

und zugleich ein teil

des kosmischen ganzen.

sie ist unendlich groß,

und zugleich unauffindbar,

ein einziges mysterium…


sie ist nicht zu greifen,

und nicht zu begreifen,

und doch ist sie überall.


sie zeigt sich in einem lächeln,

einem schönen leisen weinen,

wenn menschen fröhlich sind

beim singen, spielen, tanzen.

sie öffnet sich  wenn musik erklingt.

und wenn wir einen menschen lieben

stehn seelenscheunentore offen…


ja, die seele ist der ort der liebe…



Ich schwöre es,  so schmalzig-romantisch war auch dieser Sonnenuntergang…


Bis bald,


Paulson

(geschrieben am 26.11.09)

This entry was posted on Sonntag, November 29th, 2009 at 20:46 and is filed under 2009. You can follow any responses to this entry through the RSS 2.0 feed. Both comments and pings are currently closed.